Tag 6: Vier Welten an einem Tag

Dienstag, 4. Juni 2019. Hatten wir gestern fünf Höhepunkte erlebt, so war dieser Dienstag nicht minder spannend, denn wir haben uns sozusagen in fünf Welten aufgehalten, die unterschiedlicher nicht hätten sein können.

1. Welt: Hebron im Westjordanland. Mit mehr als 200.000 Einwohnern ist Hebron die zweitgrößte Stadt im Westjordanland, nur 30 km südlich von Jerusalem entfernt. (Das Westjordanland, auch Westbank genannt, liegt im Gebiet des historischen Palästina.) In dieser Gegend wohnten Abraham, Isaak und Jakob. Hier starb Sara und wurde in der Höhle von Machpela (vermutlich bedeutet dieses Wort „Doppelhöhle“) begraben, wie auch später Abraham, Isaak, Jakob, Rebekka und Lea (1. Mose 49,31). Aus diesem Grund ist Hebron ein heiliger Ort für Juden, Christen und Moslems. Über dem Höhlengrab von Machpela ist eine streng bewachte Moschee gebaut worden.

Politisch ist Hebron in zwei Zonen unterteilt: palästinensische und israelische . Abgesehen von den Sicherheitskontrollen haben wir davon, dass Hebron ein Krisenherd im israelisch-palästinensischen Konflikt ist, nichts mitbekommen. Zur Erinnerung: Hier, in der Machpela-Höhle, erschoss vor 25 Jahren (am 25.2.1994) der jüdische Arzt Baruch Goldstein 29 betende Araber! Mindestens 150 Menschen wurden auch verletzt, bis einige Überlebende ihn mit einem Feuerlöscher erschlugen. Dass er als Held von manchen verehrt wird, ist schwer zu verkraften, ebenso die Inschrift auf dem für ihn errichteten Denkmal (siehe hier).

Heute war es hier ganz ruhig und die Führung durch Faten Mukarker stellte sich dank ihrer ansteckenden Freude und ihrem Humor als eine erfrischende Angelegenheit. Hinzu kam der Anblick unserer Reiseteilnehmerinnen in ihren Kapuzengewändern (als wären sie Mönche bzw. Ordensschwestern) – da konnten die Herren mit den ihnen verpassten Röcken nicht mithalten!

2. Welt: Der Mahane Yehuda Markt in Jerusalem. Dieser gilt mit täglich etwa 200.000 Besuchern als der größte Markt in Israel. Die Zahl der Händler schwankt zwischen 250 und 350. „Das Angebot besteht aus Gemüse und Obst, ferner Gewürzen, Nüssen; Fleisch- wie Fischangebote sind ebenfalls vorhanden wie auch andere Lebensmittel. An vielen Ständen werden typische Produkte der lokalen Küche angeboten wie Baklava, Halva, Gebäck, Schawarma, Kibbeh, Kebab, Schaschlik, Knafeh und andere Produkte. Im Markt befinden sich ebenfalls Tee- und Kaffee-Shops und Bars.“ (Wikipedia)

Hier haben wir die Mittagspause verbracht – mit Essen (so viele Auswahlmöglichkeiten!), Einkaufen (Silke machte gleich einen kleinen Gemüse-Wocheneinkauf), Bummeln, Zuschauen und … Fotografieren (unser Paparazzo genoss es, unbemerkt interessante Portraitaufnahmen zu machen). Dank der – teilweisen – lichtdurchlässigen Überdachung konnte man es hier temperaturmäßig sehr gut aushalten.

3. Welt: Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Der hebräische Name der 1957 errichteten Gedenkstätte („ein Denkmal und ein Name“) ist dem Text in Jesaja 56,5 entnommen: „[Den Eunuchen, die meinen Sabbat heiligen, die tun, was mir Freude macht und den Bund mit mir halten,] werde ich in meinem Haus und in meinen Mauern ein Denkmal setzen. Ich werde ihnen einen Namen verleihen, der sehr viel mehr wert ist als Söhne oder Töchter. Denn der Name, den ich ihnen geben will, ist ein ewiger Name. Er wird niemals ausgelöscht!“

Wir marschierten durch die „Allee der Gerechten unter den Völkern“: Sie ist gesäumt von Bäumen, die an nichtjüdische Personen und Organisationen erinnern, die sich für die Rettung von Juden einsetzten (z. B. Oskar Schindler). Gemeinsam besuchten wir die „Halle der Erinnerung“, in deren Mitte die Gedenkflamme in Form eines zerbrochenen Bronzekelchs dauernd brennt, unter der Asche aus den Konzentrationslagern begraben ist. Außerdem sind die Namen der 22 größten Konzentrationslager in den Boden eingraviert. Dann suchten wir im „Garten der Gerechten unter den Völkern“ den Baum, der dem niederländischen Adventisten Jean (bzw. John) Weidner gewidmet ist: Von der adv. Schule in Collonges sous Salève (in Frankreich an der Grenze zu Genf) aus leitete er das westeuropäische Dutch-Paris-Fluchtnetzwerk, das mehr als 1.000 verfolgte Menschen aus dem besetzten Westeuropa über die Pyrenäen nach Spanien in Sicherheit brachte.

Bevor jeder für sich das Museum besuchen konnte, betraten wir gemeinsam das „Denkmal für die Kinder“: Während fünf Kerzen in der Dunkelheit so reflektiert werden, dass ein ganzer Sternenhimmel entsteht und so an die 1,5 Millionen ermordeten jüdischen Kinder erinnert, werden im Hintergrund die Namen, das Alter und der Geburtsort der Kinder von einem Tonband abgespielt. (Dieses Endlosband braucht ungefähr drei Monate, um alle Namen wiederzugeben.) Eine wahrlich sehr beeindruckende Gedenkstätte.

4. Welt: Das romantisch-idyllische Dorf Ein Kerem. Der Geburtsort von Johannes dem Täufer war die vierte Welt, die als „Kontrastprogramm“ unsere Tour an diesem Tag abrundete. An diesem malerisch gelegenen, nur 7,5 Kilometer von Jerusalem entfernten Ort, besuchten wir den Brunnen der Maria und die Johannes-der-Täufer-Kirche: Ähnlich der Paternosterkirche in Jerusalem, die wir am Montag besucht hatten, enthält sie Tafeln mit dem Lobgesang des Zacharias in 41 Sprachen.

DIE WELT bezeichnet diesen malerischen Ort als „Südfrankreich vor den Toren Jerusalems“. Auf dem Hügel konnten wir aus der Entfernung das Hadassah-Krankenhaus sehen, in dessen hauseigene Synagoge die berühmten zwölf Fenster von Marc Chagall sind, welche die 12 Stämme des Volkes Israel darstellen. (Hier kam Silkes Sohn zur Welt.)

Den Abend verbrachten wir im Hotel mit einem besonderen Gast: Johannes Gerloff, ein deutscher Journalist und Autor mit Schwerpunkt Israel und Naher Osten, füllte 2,5 Stunden mit der Beantwortung von drei Fragen! Es war aber sehr spannend und wir hätten ihm noch länger zuhören können, denn als (evangelischer) Theologe und Leiter einer hebräisch-sprachigen messianisch-jüdischen Gemeinde in Jerusalem gab er uns wertvolle Impulse zum Nachdenken.

 


Aus der Morgenandacht im Bus während der Fahrt nach Hebron:
Eine moderne Fassung der Seligpreisungen bezeichnen von Joseph Folliet (1903-1972).

Glücklich die Menschen, die einen Maulwurfshügel von einem Berg unterscheiden können. Sie werden sich viel Ärger ersparen.


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