Jerusalem-Kalender JUNI

Auf dem Gipfel des Ölberges hat man vom Aussichtsplateau aus eine wunderbare Sicht auf Jerusalem. Etwa 200 Meter davon entfernt steht die Paternosterkirche aus dem 4. Jhdt. Die ca. 140 Versionen des Vaterunsers in ebenso vielen Sprachen machen die Besichtigung höchst interessant. Und im Garten hinter der Kirche ist es so schön und ruhig, dass man sich dort wunderbar besinnen und Andacht halten kann, allein oder in der Gruppe.

Was ist hier zu sehen?

Den Aufzeichnungen des Kirchenhistorikers Eusebio (260-340 n. Chr.) zufolge ließ die Mutter Konstantins Helena eine Kirche über einer Höhle an dieser Stelle errichten. Die Höhle kann man besichtigen. Das soll der Platz gewesen sein, an dem Jesus seinen Jüngern das Mustergebet lehrte.

Im Kreuzgang der Pater Noster Kirche (pater noster = Latein = Vater unser) und auch in den Außenanlagen ist das Gebet kunstvoll auf glasierte Keramikkacheln eingelassen. Neben den bekannten Sprachen kann man den Text auch auf Dialekten wie Plattdeutsch, Sölring (Sylt), Helgoländisch, Galizisch, Baskisch etc. und auch in Blindenschrift lesen. Faszinierend sind für uns Europäer die Schriftzeichen von Sprachen wie Burmesisch, Koreanisch oder Chinesisch. (Im Shop kann man davon Karten kaufen.)

Der Bau der jetzigen Kirche im byzantinischen Stil wurde 1874 unter der Führung der französischen Prinzessin Aurélie de La Tour d’Auvergne gebaut. Später kam ein Karmelitenkloster hinzu. Sie starb 1889 in Florenz, seit 1957 ruht sie – wie von ihr gewünscht – in einem Sarkophag in der Paternosterkirche.

Der biblische Bezug

Die Evangelienschreiber liefern zwei Fassungen des Vaterunsers, nachzulesen in Matthäus 6,9ff. und Lukas 11,2ff. Bei Matthäus ist dieses Mustergebet in die Bergpredigt eingebettet, und zwar in einen Abschnitt über das Beten. Lukas zitiert das Gebet im Zusammenhang mit der Antwort Jesu auf die Bitte seiner Jünger: „Herr, lehre uns beten …“ (Lk 11,1)

In manchen Bibelübersetzungen wurden die Schlussworte jüngerer Handschriften übernommen: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ (Eine schöne Radioandacht zu diesen Worten ist hier zu hören.)

Die Anrede „Unser Vater“ deutet an, dass Gott nicht nur heilig und majestätisch ist, sondern auch persönlich und liebevoll – wie ein guter Vater (vgl. den Vater des verlorenen Sohnes in Lukas 15,11ff.).

Bei der Bitte „Dein Reich komme“ denken wir gleich an die Wiederkunft Jesu. Das ist richtig, aber nicht alles: Mit „Reich“ ist in den Evangelien die Königsherrschaft Jesu gemeint. Diese hat aber bereits mit seinem ersten Kommen begonnen („Das Reich Gottes ist mitten unter euch“, Lk 17,21). Die Vollendung, wenn Gott alles Böse vernichten und die Erde erneuern wird, die steht noch aus, um die dürfen wir gern bitten.

„Wie wir vergeben unsern Schuldigern“: Andere Handschriften lauten hier: „Wie wir vergeben haben unsern Schuldigern“. Dieser Wortlaut wird von der Aussage Jesu über das Vergeben bevor wir Gott unser Opfer bringen (Mt 5,23f.) gedeckt.

„Und führe uns nicht in Versuchung …“ Das ist ein Satz, der vielen Kopfzerbrechen bereitet. Zuletzt war es Papst Franziskus, der einen anderen Wortlaut vorschlug: „Und lass uns nicht in Versuchung geraten.“ (Näheres hier.)  Französische und italienische Katholiken beten inzwischen „Überlasse uns nicht der Versuchung“. Die deutsche Bischofskonferenz lehnte eine Änderung aufgrund „philologischer, exegetischer, liturgischer oder nicht zuletzt auch ökumenischer Gründe“ ab. Auch die Evangelische Kirche in Deutschland sah keinen Änderungsbedarf.
Nachfolgend ein paar moderne (= freiere) Übersetzungen dieser Stell, danach eine genauere Übersetzung:

  • Hoffnung für alle: „Lass uns nicht in Versuchung geraten, dir untreu zu werden, sondern befreie uns von dem Bösen.“
  • Gute Nachricht Bibel: „Lass uns nicht in die Gefahr kommen, dir untreu zu werden, sondern rette uns aus der Gewalt des Bösen.“
  • Neues Leben Bibel: „Lass nicht zu, dass wir der Versuchung nachgeben, sondern erlöse uns von dem Bösen.“
  • Und hier nach der ziemlich genauen Übersetzung der Elberfelder Bibel: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern rette uns von dem Bösen!“

Nachfolgend ein Kommentar zum Begriff „Versuchung“ (Griechisch peirasmós) aus dem lexikalischen Sprachschlüssel zum Neuen Testament der Elberfelder Bibel: „Die Bedeutung hängt von demjenigen ab, der versucht. Kommt peirasmós von Gott, so ist es eine Prüfung für denjenigen, dem es auferlegt ist, und niemals ein Stolperstein, damit der Geprüfte fallen soll (Gal 4,14; Hebr 3,8). Kommt es dagegen vom Satan, soll der Mensch dadurch zu Fall gebracht werden (Mt 6,13; 26,41; Mk 14,38; Lk 4,13; 8,13; 11,4; 22,28.40.46; 1 Tim 6,9; 2Petr 2,9; Offb 3,10). An manchen Stellen kommt peirasmós zwar nicht direkt von Gott und soll auch von Gott her nicht zum Fall führen, ist aber von Gott zugelassen und geht vom Satan aus, der uns damit zu Fall bringen will (Apg 20,19; 1Kor 10,13; Jak 1,2.12; 1Petr 1,6; 4,12).“

Leseempfehlung:
Kapitel über das Vaterunser im Buch von Ellen G. White „Das bessere Leben im Sinne der Bergpredigt“ (früher: „Gedanken vom Berg der Seligpreisungen), S. 104ff. in der Ausgabe 2008)
Hier ein Auszug aus Seite 119f.:

Christus wird niemals einen Menschen im Stich lassen, für den er gestorben ist. Auch wenn derjenige sich von ihm abwendet und einer Versuchung erliegt, so wendet er sich doch von keinem ab, für den er mit seinem Leben das Lösegeld bezahlt hat.
Auch für uns gilt Christi Aussage gegenüber Petrus: „Gott hat dem Satan erlaubt, euch auf die Probe zu stellen und die Spreu vom Weizen zu scheiden. Aber ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube an mich nicht aufhört.“ (Lk 22,31.32 GNB) Gott sei Dank stehen wir nicht allein! Er, der „die Menschen so sehr geliebt [hat], dass er seinen einzigen Sohn hergab“ (Joh 3,16 GNB) damit niemand verlorengeht, lässt uns im Kampf mit Satan nicht im Stich. Jesus sagte zu seinen Jüngern: „Ich habe euch die [Voll­]Macht gegeben … die Gewalt des Feindes zu brechen. Nichts wird euch schaden.“ (Lk 10,19 Hfa)
Lebe in enger Beziehung mit deinem auferstandenen Herrn, und er wird dich fest an seiner Hand halten und dich nie wieder loslassen. Erkenne Gottes Liebe zu uns und vertraue ihr, dann bist du sicher und geborgen. Diese Liebe schirmt uns zuverlässig ab gegen alle Verführungskünste und Angriffe Satans, denn „Gott, der Herr, ist wie eine starke Festung: Wer auf ihn vertraut, ist in Sicherheit.“ (Spr 18,10 Hfa)

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