Als ich vorgestern eine Präsentation für meine Kirchengemeinde vorbereitete, habe ich ein Foto manipuliert: Mit zwei Klicks habe ich einen Aschenbecher „entsorgt“ und den abgebildeten Raucher in einen Nichtraucher verwandelt. (Das Foto hatte ich übrigens aus einer kostenlosen Bilderdatenbank mit zurzeit über 1,5 Millionen freien Fotos und Videos.)
Wir erleben seit der Einführung der Digitalfotografie und dank der ständigen Verbesserung der Kamerafunktionen moderner Mobiltelefone eine regelrechte Bilderflut. Im digitalen Zeitalter „reden“ wir mehr und mehr durch Bilder miteinander, denn „ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Und so wundert es mich nicht, dass Instagram, ein kostenloser Online-Dienst zum Teilen von Fotos und Videos, zu einer führenden Plattform in den sozialen Netzwerken geworden ist: Betrug die Mitgliederanzahl Ende 2010 eine Million, so waren im Juni 2018 eine Milliarde aktive Nutzer registriert!
Obwohl inzwischen fast jeder weiß, wie leicht es ist, Bilder zu manipulieren, lassen wir uns leicht von dem beeindrucken, was wir sehen. Eine Studie der britischen Universität Warwick belegt, dass die meisten Menschen nicht in der Lage sind, digital gefälschte Bilder zu erkennen. „Der blinde Glaube ans Bild wird schamlos ausgenutzt, das Publikum in die Irre geführt“, schrieb die NZZ am Sonntag (3.6.2017). Auch wenn das Wort in einem anderen Zusammenhang fiel, bewahrheitet sich in auffälliger Form der Spruch aus der Bibel: „Der Mensch sieht, was vor Augen ist.“ (1. Samuel 16,7)
Inzwischen hat die digitale Manipulation auch den Filmbereich erreicht: Videos lassen sich mit Algorithmen und Apps dank künstlicher Intelligenz derart manipulieren, dass beispielsweise gefälschte Pornos mit den Gesichtern von Promis im Internet verbreitet werden. Oder Politikern werden Worte in den Mund gelegt, die sie so nie gesagt haben. Dabei gibt die digitale „Maske“ das Lächeln, Zwinkern usw. der Person so täuschend echt wieder, dass der Zuschauer die Manipulation („deepfakes“ nennt man solche Videos) nicht merkt.
Seit Ende Januar 2018 gibt es eine (kostenlose) App, mit der jedermann sehr einfach die Gesichter austauschen und so Fake-Videos erstellen und verbreiten kann. Daher wächst die Sorge, dass diese Manipulationen zu einem gefährlichen Massenphänomen werden könnten. Es wird nicht einmal ausgeschlossen, dass Deepfake-News Kriege auslösen könnten.
Diese Entwicklungen fordern uns heraus, noch kritischer alles zu prüfen, was die Medien verbreiten – nicht nur das, was wir hören und lesen, sondern auch das, was wir sehen, also auch Fotos und Filmmaterial. Eine Hilfe wird dabei möglicherweise eine Ergänzung (Plugin) für Internetbrowser sein, die automatisch erkennen wird, ob ein Video echt oder gefälscht ist.
Eine Folge dieser Entwicklung könnte sein, so ein Experte auf dem Gebiet der sozialen Netzwerke, dass Menschen mit festgefügten Weltbildern sich ihre eigene Parallelwelt schaffen und sich in ihrer eigenen zurechtmanipulierten „Wahrheit“ bestätigen. Eine andere Gefahr, die in der postmodernen Gesellschaft schon länger zutage tritt, ist die Relativierung der Wahrheit: Das Empfinden, es gäbe keine absolute Wahrheit mehr, kann auch eine Folge der Verunsicherung bzw. des Misstrauens sein, dass man heute nichts und niemandem glauben kann.
Da sind Christen besonders herausgefordert, ihren Glauben an einen Gott zu bekennen, der absolut vertrauenswürdig ist; von Jesus Christus zu erzählen, der den Anspruch erhob, „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ zu sein; zu zeigen, dass man sehr wohl der Heiligen Schrift, der Bibel, vertrauen darf; und vor allem: wahrhaftig und authentisch zu leben.
Vor 2000 Jahren stellte Pilatus die berühmte Frage: „Was ist Wahrheit?“ (Johannesevangelium 18,38) Leider wartete er nicht mehr die Antwort aus dem Mund von Jesus ab. Bewusst oder unbewusst, direkt oder wortlos wird auch heute diese Frage von vielen gestellt. Hoffentlich wird sie gehört und wahrhaftig und überzeugend von jenen beantwortet, mit Worten und/oder mit Taten, die erlebt haben: Der Mensch sieht, was vor Augen ist, und kann sich daher gewaltig täuschen. Gott aber sieht das Herz an, ihm kann man nichts vormachen – und man braucht es auch nicht!