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Zurück zu welcher „Normalität“?

Screenshot der Predigtsendung vom HOPE-TV

[nx_spacer size=”5″]Der Titel der Predigt machte mich neugierig: „Nicht nur sauber, sondern rein“. Worauf wollte denn der Redner, Pastor Johannes Naether (Hannover), Präsident der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Norddeutschland, hinaus? Ich ließ mich überraschen und war am Schluss begeistert von dieser Predigt, die am 2. Mai 2020 im HOPE-TV-Gottesdienst übertragen wurde.

Nach einer kurzen Einführung über die „neue Normalität“ – Hände 20 Sekunden lang waschen, Supermarktbesuch mit zwei Einkaufswägen, Mindestabstand – kam Pastor Naether auf die biblische Grundlage der Predigt zu sprechen, nämlich die Begebenheit, die im Markusevangelium Kapitel 7 berichtet wird: In einer Art „Untersuchungsausschuss“ konfrontieren Abgesandte der damaligen geistlichen Elite Jesus damit, dass seine Schüler sich nicht an die geltenden Vorschriften halten, so z. B. an die rituellen Waschungen vor dem Essen.

Was ist normal? Was ist bindend?
Bei der kontroversen Diskussion, die Jesus führte, sei es ihm nicht um eine Missachtung der fünf Bücher Mose gegangen, sondern vielmehr um die Zusatzvorschriften, die sich im Laufe der Jahrhunderte angesammelt hatten („Überlieferungen der Ältesten“ genannt). An dieser Stelle fragte Naether die Zuschauer:

Was ist normal, d. h. in welcher Wirklichkeit leben wir? Was ist für uns bindend? In dieser Zeit spüren und wissen wir, dass alles in Frage gestellt wird. Die gängige Routine ist futsch und Antworten auf (lebens)wichtige Fragen werden von Pressekonferenzen der Regierenden erwartet. Wenn ich von Normalität spreche, dann darf ich davon ausgehen, dass uns Dinge in Fleisch und Blut übergegangen sind, die wir nicht mehr – oder nur ganz, ganz selten – hinterfragen. Aber genau das zu tun, ist die Chance in der Krise.

„Normalität ist ein Zustand, der mir vertraut ist und … Sicherheit vermittelt – ein existentielles Grundbedürfnis!“, führte er weiter aus. Diese Normalität, die wir schaffen und kontrollieren, politisch regulieren und rechtlich klären, wird durch ein Virus plötzlich in Frage gestellt: „Unsicherheit und Mehrdeutigkeit als Begleiter in der Krise – das ist schwer zu ertragen.“

Bezugnehmend auf die Regelungen der Pharisäer (Schüssel, Becher, Krüge), die alle Aufmerksamkeit verlangten und Pflichten regelten, übertrug Naether auf unser persönliches geistliches Leben:

Eine Welt, in der letztlich mein Glaube an Gott, meine Spiritualität in der Gefahr steht, zu einer anstrengenden Pflichtübung zu verkommen, weil ich nur noch darauf aus sein muss, das selbstgebastelte Gebäude der Normalität aufrechtzuerhalten, zu funktionieren. Ansonsten verunreinige ich mich, wenn ich aus der Normalität ausbreche.

Das Fazit von Jesus (indem er Jesaja 29,13 zitiert) könnte deutlicher nicht sein: „Dies Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist fern von mir.“ (Markus 7,6) Am Beispiel der Korban-Formel machte er deutlich, „wie trügerisch und voller Heuchelei die so genannte ,Normalität‘ sein kann, ja, wie wir sie sogar pervertieren können“. (Die Juden gestatteten Söhnen, ihren Besitz Gott hinzugeben [Korban] und dann ihren Eltern die Unterstützung unter dem Vorwand zu verweigern, ihre Habe sei nun Gott geweiht.)

Ist Europa erst jetzt krank?
Zwischendurch wurden Naethers Ausführungen gesellschaftskritisch:

Zu welcher „gesunden Normalität“ lohnt es sich zurückzukehren?Eine Normalität, die achselzuckend zusieht, wie Männer, Frauen und Kinder während des gesamten Osterfestes hinweg im Mittelmeer treiben und vergeblich auf Rettung hoffen, während die Christenheit die Auferstehung Jesu feiert? Unsere „Normalität“ lässt Menschen ertrinken oder in Lagern misshandeln. War Europa schon vor der Pandemie schwer krank?
Wir bekommen es in Europa nicht hin, 1800 unbegleitete Kinder aus Flüchtlingslagern aufzunehmen, aber mit Frühlingseifer Erntehelfer aus dem Ausland einzufliegen? Kein Problem, um den nationalen Spargelhaushalt aufrechtzuerhalten. Ist das normal? In armen Ländern werden die Särge gestapelt und Leichen mit dem Gabelstapler abtransportiert, aber auf die Idee, einen Schuldenschnitt wirklich umzusetzen, kommt keiner.

Das falsche Leben im vermeintlich richtigen?
Dann wurde Naether persönlich, als er fragte:

Ist es nicht auch legitim zu fragen, ob wir womöglich das falsche Leben im vermeintlich richtigen führen, wenn Partnerschaft, Familie oder auch Single-Dasein sonst nur mit Dauer-Ablenkung zu ertragen ist?
Wie steht es mit Unversöhnlichkeit, Hartherzigkeit, Hochmut? Ich kenne diese Dinge, sie sind mir nicht fremd, und ich will nicht, dass sie zur Normalität meines Lebens werden oder bleiben.

Johannes Naether zitierte die Worte Jesu in Markus 7,20-23: „Was aus dem Menschen herauskommt, das macht den Menschen unrein. Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen heraus die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Arglist, Ausschweifung, Missgunst, Lästerung, Hochmut, Unvernunft. All dies Böse kommt von innen heraus und macht den Menschen unrein.“
Damit leitete er über auf seine Schlussfolgerung: Die schwerwiegendere Verunreinigung steckt tief, ist die des Herzens, und die bekommen wir nicht mit eigenen Bordmitteln in den Griff. Daher fragte er:

Was bedroht die Menschen im Innersten mehr: Covid 19 oder eine „Normalität“, die wir uns ohne Gott zurechtbasteln?

Er lud die Zuschauer ein, ihr Herz vor Jesus auszubreiten. Das wäre der Beginn einer neuen „Normalität“ und der Weg, mit sich selbst im Reinen zu sein.

Mit sich selbst im Reinen
Wenn wir das sagen, denken wir weder an eine aufgeräumte Wohnung noch ans Händewaschen, sondern daran, dass wir uns mit unseren inneren „Baustellen“ auseinandergesetzt haben:

Da hast du vielleicht Vergebung empfangen oder ausgesprochen. Oder du bist durch Gebet und Seelsorge frei geworden von Neid und Bitterkeit. Oder du konntest an dir vielleicht eine neue Freizügigkeit entdecken und denkst solidarischer, mitfühlender und auch mehr fürsorglich.
Vielleicht bist du auch frei geworden von einem ätzenden Zynismus, der in Wirklichkeit nur deine Unsicherheit am Leben kaschiert hat. Jetzt ziehen Güte und Freundlichkeit in dein Herz. Vielleicht konntest du auch einen Neuanfang mit einem Menschen wagen, wo eine bittere Distanz eingetreten war.

Naether verglich den Krisenmodus der Pandemie mit einem Vergrößerungsglas, das die Bruchstellen unserer Gesellschaft oder unseres Lebens sichtbar macht. Und er zeigte sich zuversichtlich, dass Jesus auch diese Krisenzeit nutzen kann, um uns einen Neuanfang zu schenken. Das sei viel besser, als das Alte zu verklären, „denn, wenn in einem halben oder einem Jahr wieder alles ist wie vorher, dann darf man von einer verpassten Chance sprechen“.

Zum Abschluss seiner Predigt ermutigte Johannes Naether die Zuschauer, sich nicht mit der alten Normalität ohne Gott zu begnügen:

Der Weg zu einem neuen Leben, zu einer neuen Normalität, ist der Weg zu Jesus, ist der Weg mit IHM. Die neue Normalität ist ein Herz, in dem Jesus Platz hat – kein Mindestabstand, keine Maske, die du vor ihm tragen musst. Du brauchst dich auch vorher nicht zu desinfizieren oder einem Test unterziehen. Sag einfach JA zu Jesus, und er beginnt ein neues Leben mit dir.

 

Ein heikles Gebet

Gottesdienst frei Wohnzimmer via Tablet. (Foto: edp)

[nx_spacer size=”5″]Meiner Frau und mir hat der heutige Jahresanfangsgottesdienst der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland sehr gut gefallen. Er wurde (wie jedes Jahr) am zweiten Samstag im Januar vom Medienzentrum Hope Media über Satellitenfernsehen und Internet übertragen. Dutzende von Kirchengemeinden bauten die Übertragung in ihren Gottesdienst (bei den Adventisten am Samstagvormittag, dem biblischen Sabbat) ein, Kranke u. a. konnten ihn zu Hause erleben und werden ihn auch bald in der Mediathek von Hope TV abrufen können.

Uns beiden hat dieser Gottesdienst rundum sehr gut gefallen:

  • Ein feiner Rahmen (es war eine Studio-Übertragung).
  • Sehr ausgewogene Musik, die vermutlich sowohl jüngere als auch konservativere Teilnehmer/Zuschauer angesprochen haben dürfte. (Das Schlagzeug wurde sehr zurückhaltend gespielt; die Geige, sehr gekonnt gespielt, stand mehr im Mittelpunkt; die Solistin hat eine helle, angenehme Stimme.)
  • Die Live-Schaltungen waren (abgesehen von den Tonstörungen) sehr gut ausgewählt, denn es kamen zwei Minikirchengemeinden zur Sprache, die kurz vor dem Aus standen, dann aber mit vereinten Kräften durch einen Neubau bzw. ein Integrationsprogramm für Flüchtlinge neu belebt wurden.
  • Die Predigt von Pastor Johannes Naether, dem Vizepräsidenten der Freikirche in Deutschland, war anspruchsvoll, aktuell und bibelfundiert.
  • Auch die Kinder kamen durch einen Kindermoment, das mit dem Predigtthema abgestimmt war, auf ihre Kosten.

Das Thema des Gottesdienstes bzw. der Predigt lautete „Versuchung. Heute.“ und entsprach der Jahreslosung der Freikirche für 2020, die dem Vaterunser entnommen ist: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.“ (Matthäusevangelium 6,13) Zweierlei gefiel mir besonders:

  • Dass der Redner auf die Problematik dieser Bitte eingegangen ist: Führt uns Gott tatsächlich in Versuchung? Diese Frage und damit verbunden die Deutung bzw. die Übersetzung dieser Bitte des Vaterunsers hat die Theologen intensiv beschäftigt – zuletzt nach dem Vorschlag von Papst Franziskus, den Text anders zu übersetzen. Er schlug vor: „Lass mich nicht in Versuchung geraten.“ Das lasse der Grundtext aber nicht zu. Es sei eher eine Deutung, um die Aussage von Jesus in Einklang mit unserem Gottesbild zu bringen – so Naether. Er gab offen zu, dass es ein glattes, widerspruchloses Gottesbild nicht gibt. Mit anderen Worten: Wir müssen einfach damit leben, dass wir nicht erklären können, warum Gott z. B. die Verführung bereits im Paradies zuließ (mit dem Baum, aus dem das erste Elternpaar nicht essen sollte). Zugleich aber wurde dadurch die Entscheidungsmöglichkeit des Menschen (Willensfreiheit) dokumentiert.
  • Gut fand ich auch Naethers Bezüge zu Jesus Christus, dessen öffentliches Wirken nicht mit einem spektakulären Wunder begann, und auch nicht mit einer bewegenden Predigt, sondern damit, dass er vom Geist Gottes in die Wüste geführt wurde, „damit er von dem Teufel versucht würde“ (Matthäusevangelium 4,1). Auch am Vorabend seiner Verurteilung war die Versuchung im Garten Gethsemane groß, „auszusteigen“, um dem Kreuzestod zu entkommen. Gerade dadurch, dass Jesus Versuchungen erlebte (denen er nicht nachgab), ist er überzeugenderweise in der Lage, uns Menschen zu verstehen und zu helfen, wenn wir versucht werden: „Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde.“ (Hebräerbrief 4,15)

Warum diese Bitte im Vaterunser steht, d. h. warum Gott uns die Versuchungen nicht erspart, wissen wir nicht. Aber dass Jesus Christus uns in der Versuchung gut versteht, uns nicht von der Seite weicht und uns gern vergibt und einen neuen Anfang schenkt, wenn wir der Versuchung erlegen sind, das ist gewiss!

  • Aufnahme in der Mediathek hier abrufen.
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