Archiv der Kategorie: Nachdenkliches

7.000 bis 150.000 Euro für eine Niere?

Als meine Mutter etwa Mitte dreißig war, hatte sie eine schwere Nierenerkrankung. Die Entfernung einer Niere stand zur Debatte. Dank einer langjährigen, natürlichen Behandlung wurde sie wieder gesund. Und dann ergab eine Untersuchung, dass sie seit ihrer Geburt nur eine Niere besaß: die, die man ihr hatte entfernen wollen!

Die Niere, dieses faustgroße Organ, ist eine komplizierte, bewundernswerte Kläranlage! Jede Niere besteht aus 500.000 bis 1,2 Millionen mikroskopisch kleinen „Arbeitsstationen“ (Nephronen). Sie filtern Blut, sodass Giftstoffe ausgeschieden werden können: Jeden Tag arbeiten die Nieren etwa 280 Liter Blut durch und sortieren dabei zwei bis drei Liter Abfallprodukte und Wasser aus. Außerdem regulieren sie den Wasser- und Salzgehalt des Körpers.

Dass der Schöpfer uns mit zwei Nieren ausgestattet hat, ist eine reine Vorsorgemaßnahme, denn bei Ausfall einer Niere kann die zweite die vorgesehenen Funktionen voll erfüllen. Wie bei meiner Mutter, die vor ein paar Monaten 90 geworden ist. Oder auch bei Menschen, die einem nahen Angehörigen eine Niere gespendet haben („Nierenlebendspende“), so wie es Frank-Walter Steinmeier (derzeit unser Bundespräsident) vor fast genau acht Jahren (am 24.8.2010) getan hat.

2017 wurde in Deutschland 1.921 Personen eine Niere transplantiert, 8.000 standen auf der Warteliste (die durchschnittliche Wartezeit soll bei etwa sechs Jahren liegen). Etwa 60.000 bis 80.000 Menschen sind in Deutschland auf die Blutreinigung durch Dialyse angewiesen. Die Dialyse für einen Nierenkranken kostet im Jahr etwa 40.000 Euro, manche Patienten müssen zehn Jahre lang zur Dialyse. Eine Nierentransplantation kostet im Durchschnitt zwischen 50.000 und 65.000 Euro.

Eine Art Filter („semipermeable Membran“) bringt bei der Hämodialyse das Blut (links) in Kontakt mit der Dialyselösung (rechts). (Bild: Freemesm; Lizenz: CCASA 3.0)

Die knappe Zahl von Spenderorganen sorgt dafür, dass für eine Niere am Schwarzmarkt bis 146.000 Euro verlangt werden (Stand Dez. 2017)! (1) Im November 2017 lautete ein Bericht in FOCUS MONEY online: „Niere kostet 7000 Euro: Flüchtlinge verkaufen ihren Körper für den Traum von Europa“. (2)

Die Niere ist für mich persönlich nicht ein „Wunderwerk der Natur“, wie man häufig lesen kann, sondern ein Wunderwerk der göttlichen Schöpfung. Jemand schrieb: „Kein Organ des menschlichen Körpers ist den physikalischen Gesetzen so unterworfen wie die Niere. Eigentlich hätte unser Schöpfer für dieses Organ den 1. Nobelpreis der Physik verdient.“ Was er jedenfalls verdient, ist unsere Verehrung und unseren Dank.

In der Bibel (besonders im ersten Teil, dem „Alten Testament“) ist häufig von den Nieren die Rede. So zum Beispiel in einer Bitte im Psalm 26, Vers 2:

Prüfe mich, HERR, und erprobe mich, läutere meine Nieren und mein Herz!

Galt das Herz als Sitz der Gedanken und Empfindungen, so standen die Nieren im alten Israel für den Sitz des Gewissens. Die Bitte im Psalm 26 meint also, Gott möge das Denken und Fühlen des Beters prüfen, aber auch sein Gewissen. Der Beter wendet sich vertrauensvoll an seinen Schöpfer, weil er weiß: Keiner kennt mich besser. Aber er hat auch erlebt: Und keiner liebt mich mehr!

Zwei moderne Bibelübersetzungen („Gute Nachricht Bibel“ und „Neues Leben Bibel“) geben diese Bitte im 26. Psalm so wieder: „Stell mich auf die Probe, Herr, prüfe mich auf Herz und Nieren!“ Aus diesem Text stammt der bekannte Spruch, etwas „auf Herz und Nieren“ zu prüfen. Den angebotenen Gebrauchtwagen „auf Herz und Nieren“ zu prüfen, ist selbstverständlich. Sich beim Arzt im regelmäßigen Gesundheitscheck „auf Herz und Nieren“ (unter anderem) untersuchen zu lassen, empfiehlt sich auch. Aber die Bitte aus Psalm 26 sollten wir nicht vernachlässigen, denn von dieser Prüfung hängt ab, ob wir das Ziel unseres Lebens erreichen oder verfehlen werden.

 

(1) http://ogy.de/fbzn
(2) http://ogy.de/nwqz

Eine Tafel der besonderen Art

Sieht lecker aus! (Foto: HNBS, pixabay)

Seit 25 Jahren gibt es diese sinnvolle Einrichtung in Deutschland: die Tafel. 60.000 Ehrenamtliche geben in mehr als 940 Tafeln gespendete Lebensmittel an 1,5 Mio. bedürftige Menschen weiter.

Es geschah vor ca. 80 Jahren, dass in meiner Heimatstadt Gijón (am Atlantik, in Nordwestspanien) eine außergewöhnliche „Tafel“ entstand. Diese Geschichte hat mich sehr beeindruckt:

Nach dem Mittagessen betrachtete ein Hotelgast, was sich auf der Plaza Mayor so abspielte. Es war 14 Uhr, da sah er, wie sich ein paar Bedürftige – eine alte Dame mit einem reichlich abgetragenen Kleid, ein Mann auf Krücken, Kinder in lumpigen Kitteln, ein paar Greise und alte Frauen – auf den Stufen des Rathauses gegenüber niederließen. Kaum hatte der letzte Platz genommen, da erschien eine eigenartige Prozession. Voran Don Manuel, der Hotelbesitzer, feierlich schwarz gekleidet, eine blütenweiße Serviette unter dem Arm. Ihm folgten Kellner und Mägde mit vollgefüllten Schüsseln und wohl gerichteten Platten, ganz so, als hätten sie eine Hochzeitstafel anzurichten.

Der Zug ging direkt auf die Menschen auf den Steinstufen zu. Teller und Bestecke wurden verteilt. Dann bediente der Hotelier eigenhändig jeden seiner Gäste, so, als habe er die beste Gesellschaft vor sich. Fachkundig beriet er sie und jeder dieser Armseligen konnte ganz nach Wunsch und Belieben wählen. Am Ende wurde abserviert, nicht anders als im Speisesaal des Hotels. Die Gäste gingen wieder ihres Wegs. Don Manuel aber zog mit dem in Körben eingesammelten Geschirr in sein Hotel zurück.

Als der Gast sich nach dem Sinn dieses seltsamen Vorgangs erkundigte, erfuhr er die Vorgeschichte. 1936 war Don Manuel während des letzten spanischen Bürgerkriegs gefangen genommen und zu Zwangsarbeit im Hafen von Gijón verurteilt worden. Dann kam der Erschießungsbefehl. In letzter Minute intervenierte jedoch der Gefängnisaufseher und rettete ihm das Leben. Warum er das tat? Einige Jahre zuvor hatte Don Manuel den damals Jugendlichen bei einem Einbruch im Hotel ertappt. Auf die Frage, warum er eingebrochen war, sagte der junge Mann: „Weil ich Hunger hatte!“ Darauf hin ließ ihn Don Manuel gehen und verzichtete auf eine Anzeige. Nun rettete ihm der ehemalige Dieb und nun Gefängnisaufseher aus Dankbarkeit das Leben.

Als Don Manuel über die Armut nachdachte, die der Bürgerkrieg hinterließ, fasste er aus einen Entschluss: „Die Armen des Städtchens nicht nur zu speisen, sondern auch zu ehren.“ Und so fing er an, jeden Tag um 14 Uhr diese vornehme Speisung, unterstützt durch sein Personal, durchzuführen. Dabei wurden die Bedürftigen von einer Frau angeführt, die am Ende der Speisung die Teller und Bestecke abzählte. (Diese Frau hieß „La Perala“ und ich habe sie kennengelernt, als ich ein Kleinkind war und sie auf unserer Straße bettelte!)

Als Don Manuels Frau starb, kamen viele dieser Bedürftigen ins Hotel, um ihr Beileid zu bekunden. In seinem Testament verfügte er, dass diese Speisung nach seinem Tod fortgeführt werden sollte.

Ich denke, dass diese Worte von Jesus (im Matthäusevangelium 25,40 NLB) auch Don Manuel gelten:

Was ihr für einen der Geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr für mich getan!

Eine historische Aufnahme aus dem Jahr 1942.

Don Manuel Meana Canal lebte von 1888 bis 1958. Er gründete sein Hotel Anfang des 20. Jhdt. mit 15 Zimmern. Seit 1946 heißt es „Hotel Asturias“ und hat inzwischen 125 Zimmer und vier Sterne.

Links vom Rathaus (1867 gebaut) steht das Hotel Asturias. (Foto: Yumarso, Lizenz: CCAA 4.0)

 

Links dazu (spanisch):
https://elblogdeacebedo.blogspot.com/2018/04/don-manuel-meana-canal-gijon-1888-1958.html
http://hotelasturiasgijon.es/el-hotel/historia/

Eine andere moderne Geschichte in diesem Zusammenhang: das Restaurant Robin Hood in Madrid. Gott und die Welt-Sendung in der ARD-Mediathek (29 Min., verfügbar bis 18.8.2018)

Wasser mehr als genug!

Wird das Wasser knapp? (Foto: analogicus, pixabay)

Letzte Woche bekamen wir die Wasser-Jahresabrechnung: Wir müssen nachzahlen. Aber wir sind froh und dankbar, dass wir reichlich mit gutem Wasser versorgt werden – gerade zurzeit! In den Nachrichten hieß es, die Rekordhitze sorge in manchen Regionen Deutschlands für Wasserknappheit. Die Landwirte machen sich Gedanken über neue Sorten von Feldpflanzen, um mit den wetterbedingten Herausforderungen besser klar zu kommen.

Als ich letzte Woche in der Mittagshitze etwas erledigen musste, fiel mir auf, wie leergefegt die Straßen waren – fast wie zur Siesta-Zeit in meiner Heimat! Ich musste unwillkürlich an die Frau im Johannes-Evangelium denken, die bewusst die Mittagshitze wählte, um Wasser aus dem Dorfbrunnen zu schöpfen. Sie wollte ihren Nachbarinnen aus dem Weg gehen, um sich keine herabwürdigenden Bemerkungen zu ihrem Lebensstil anhören zu müssen.

Den Nachbarinnen begegnete sie nicht, dafür 13 Männern! Allerdings schickte einer von ihnen, den sie Jesus nannten, alle 12 weg ins Dorf, um sich allein mit der Frau unterhalten zu können. Denn er spürte sofort: Diese Frau braucht mehr als nur Brunnenwasser. Sie braucht jemand, der sie herausfordert, ihr zuhört, „zwischen den Zeilen lesen kann“, sich nicht von Vorurteilen lenken und auch nicht durch Fangfragen ablenken lässt. Und sie braucht einen Menschen, der sie so annimmt und respektiert, wie sie ist. Und der ihr sagt: „Auch Gott liebt dich. Du bist in seinen Augen unendlich wertvoll.“ Und auch: „Du darfst neu beginnen, du musst nicht so bleiben, wie du bist.“

Am Abend dieses Tages konnte man eine deutlich gelöste Frau sehen, die – umgeben von den Menschen, die sie bis dahin gemieden hatte – von dieser Begegnung mit Jesus erzählte und ihm weiterhin zuhörte, während er das Thema ihres Mittagsgesprächs am Brunnen vertiefte:

Wenn die Menschen dieses Wasser [vom Brunnen] getrunken haben, werden sie schon nach kurzer Zeit wieder durstig. Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, der wird niemals mehr Durst haben. Das Wasser, das ich ihm gebe, wird in ihm zu einer nie versiegenden Quelle, die unaufhörlich bis ins ewige Leben fließt.

So nachzulesen im Johannesevangelium Kapitel 4 (nach der Übersetzung Neues Leben Bibel). Das gesamte Kapitel ist sehr spannend!

Wir Menschen brauchen etwa zwei Liter Wasser pro Tag – bei der derzeitigen Hitze sicher etwas mehr. Aber wir dürfen den Durst unserer Seele nicht ignorieren: Die Sehnsucht nach Annahme, Geborgenheit, Vergebung, einem gesunden Selbstwert, einem Sinn für das Leben hier und die begründete Hoffnung auf ein Leben danach – das alles kann letztlich kein Getränk und auch kein Mensch abdecken. Diese Sehnsucht kann nur derjenige stillen, der uns erschaffen hat. Das erkannte auch der Kirchenvater Augustinus, als er sagte:

Groß bist du, Herr, und über alles Lob erhaben. Und da will der Mensch dich preisen, dieser winzige Teil deiner Schöpfung. Du selbst regst ihn dazu an; denn du hast uns zu dir hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir. (Bekenntnisse, I, 1,1)

Wer diesen Durst durch die Hingabe an Jesus Christus und die Beziehung zu ihm täglich gestillt bekommt, wird zu einem Bach, durch das dieses Lebenswasser zu anderen fließt. Wie belebend und erfrischend!

Faszination Mond

Sie waren schneller als ich gewesen: Mit Fotostativen, Profikameras samt besonderen Objektiven, allerlei Zubehör, Vergrößerungsgläsern, Sitzhockern und sogar Picknickversorgung ausgerüstet belegten die Hobbyastronomen am Freitagabend die guten Plätze in der Hoffnung, die Mondfinsternis des Jahrhunderts vom ersten Augenblick an sehen und festhalten zu können. Es war alles umsonst: Eine tiefe Wolkendecke verdeckte für etwa eine Stunde die Sicht auf den Mond. Ich packte meine Ausrüstung erst gar nicht aus, fuhr nach Hause und konnte später bequem den „Blutmond“ vom Garten aus fotografieren. Ein besonderes Phänomen, in der Tat!

Der „Blutmond“ über Lüneburg am 27.7.2018 um 23:15 Uhr. (Foto: edp)

Am Sonntag habe ich darüber nachgedacht: Woher kommt diese Faszination , die dieser Gesteinsbrocken mit 3500 Kilometern Durchmesser auf die Menschen ausübt?

In allen Kontinenten und Kulturen gab es Götter, die den Mond verkörperten. Der sumerische Mondgott war beispielsweise der Schutzpatron der mesopotamischen Stadt Ur. In Höhlenmalereien sind Sicheln als Symbol des Mondes zu sehen, der wohl mit der Fruchtbarkeit der Frau in Verbindung gebracht wurde. Im Schöpfungsbericht wird er nur als „kleines Licht“ erwähnt (im Vergleich zum „großen Licht“, das für die Sonne steht), wodurch vermutlich einer Aufwertung entgegengewirkt werden sollte.

In der Literatur ist der Mond ein Zentralgestirn und stellt die Sonne in den Schatten. Faszinierend finde ich das sehr bekannte Gedicht „Der Mond ist aufgegangen“ von Matthias Claudius (er starb im Januar 1815, also vor 203 Jahren, in Hamburg). Es lohnt sich, über den gesamten Text nachzudenken (hier abrufbar; hier ist eine Volksliedvertonung zu hören), ich will mich aber auf ein paar Gedanken über die dritte und vierte Strophe beschränken:

Seht ihr den Mond dort stehen? / Er ist nur halb zu sehen / und ist doch rund und schön: / so sind wohl manche Sachen, / die wir getrost belachen, / weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolzen Menschenkinder / sind eitel arme Sünder / und wissen gar nicht viel. / Wir spinnen Luftgespinste / und suchen viele Künste / und kommen weiter von dem Ziel. 

Natürlich wusste Matthias Claudius, warum es Halb- und Vollmond gab. Aber der halbe Mond war ihm ein Zeichen. In einer Zeit, in der die „Vernunft“ ganz oben auf der Werteskala stand, und somit Gefühle und Spiritualität als eher suspekt galten, wollte er warnend daran erinnern: Der Mensch ist mehr als Kopf und Intellekt. Vieles bleibt unseren Augen und Wissen verborgen und ist doch wahr.

Meinte das nicht auch der Apostel Paulus, als er (in 1. Korinther 13) schrieb: „Unser Wissen ist Stückwerk“?

Unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.

Wir sehen und erkennen immer nur in Stücken, beschreiben den Rüssel oder das Ohr und halten das fürs Ganze, ohne eine Ahnung von dem Elefanten zu haben, dem sie gehören. Wir kennen nie das Ganze. Wir kennen nie die ganze Wahrheit. Keiner von uns.

Matthias Claudius verschweigt nicht, dass uns oft etwas fehlt in unserem Leben. Das gefällt mir so an diesem Lied. Und noch mehr gefällt mir bei ihm der Glaube, dass das Fehlende auf eine geheimnisvolle Weise doch noch da ist – auch wenn wir es zuweilen nicht sehen; denn es hat alles mindestens zwei Seiten, wir aber kennen häufig die Rückseite nicht.

Weil wir die verborgene Seite eines Menschen nicht kennen (oft genug kennen wir nicht einmal uns selbst), sollten wir barmherziger miteinander umgehen und uns gegenseitig so annehmen, wie Gott uns angenommen hat – obwohl er uns wirklich kennt, auch unsere verborgenen Seiten!

Bei Grün gehen, bei Rot … auch!?

Während des letzten, dreiwöchigen Aufenthalts in meiner spanischen Heimat (Asturias, im Nordwesten) sind mir zwei Dinge besonders aufgefallen – das eine positiv, das andere negativ.

Sehr positiv fand ich die Kundenfreundlichkeit. Ob an der Supermarktkasse, beim Optiker, bei der Bank, beim Eisverkäufer, im Restaurant: Überall fand ich den Spruch (muss ich sagen den Traum?) erfüllt, „der Kunde ist König“. Ich erlebte nicht eine einzige Ausnahme!

Nachlässigkeit? Ungeduld? Schlechte Vorbilder? „Gruppenverführung“? Es gibt sicher viele Gründe, warum Fußgänger häufig bei Rot über die Ampel gehen. (Foto: manfredrichter, pixabay)

Und das negative Erlebnis? Das fand täglich statt: Kaum einer hielt sich an die auch in Spanien geltende Regel „Bei Grün gehen, bei Rot stehen“! Ob jung, mittelaltrig, alt oder sehr alt, galt: nach rechts schauen, nach links schauen und dann durch! Manchmal rennend, weil plötzlich ein Auto auftauchte. Ich weiß, dass ich mich höchstwahrscheinlich ziemlich blamiert habe, aber ich war meistens der einzige, der lange stehen blieb, während andere Fußgänger einzeln oder scharenweise bei Rot die Straße überquerten.

Was hinderte mich daran, es ihnen gleich zu tun? Meine Erziehung? Die Angst, möglicherweise überfahren zu werden? Mein „Stand“ (Pastor i. R.)? Die deutsche Überkorrektheit? Die Vorbildfunktion? Vermutlich von allem etwas.

Kurz nach meiner Rückkehr zeigte mir meine Frau einen Spruch, den sie in einem der Social Media-Konten unseres älteren Sohnes gesehen hatte: „An die Leute, die öfter bei Rot über die Ampel gehen: Wenn euch Kinder dabei zusehen, müsst ihr euch gefälligst auch überfahren lassen.“ Etwas krass, nicht wahr? Aber vielleicht ein Anstoß zum Nachdenken über das eigene Verhalten. Ähnlich krass ist die Schock-Kampagne der französischen Verkehrsbehörde: Mittels einer Digitalsäule mit Bildschirm, selbstauslösender Kamera und Lautsprechern sollen Fußgänger, die bei Rot über die Straße gehen, denken, sie werden überfahren (sehenswertes Video hier).

Noch einmal die Frage: Warum bin ich während der drei Wochen in Spanien konsequent bei Rot stehengeblieben? Ich meine, es sind zwei Gründe maßgeblich gewesen. Zum einen wollte ich darin ein Vorbild für junge Menschen und Kinder sein. Ich bin es bestimmt nicht immer und nicht in allen Bereichen, aber es hier zu sein, fiel mir wahrlich nicht schwer. Mir ist bewusst, dass „Vorbildsein“ nicht unbedingt „in“ ist. Dennoch will ich gern diesbezüglich altmodisch bleiben.

Der zweite Grund hat mit meiner durch den Glauben geprägten Einstellung zu tun. Ich denke dabei an die Worte des Paulus in Römer 13,1-7, wo es um unsere Pflicht geht, der staatlichen Ordnung zu folgen (solange wie sie der göttlichen Ordnung nicht entgegensteht). Hier ein Auszug dieses Abschnittes (nach der Übersetzung „Hoffnung für alle“):

Die Staatsgewalt steht im Dienst Gottes zum Nutzen jedes Einzelnen. Wer aber Unrecht tut, muss sie fürchten, denn Gott hat ihr nicht ohne Grund die Macht übertragen, Strafen zu verhängen. Sie handelt im Auftrag Gottes, wenn sie unbestechlich alle bestraft, die Böses tun. Es sind also zwei Gründe, weshalb ihr euch der staatlichen Macht unterordnen müsst: zum einen, weil euch sonst das Urteil Gottes droht, zum andern, weil schon euer Gewissen euch dazu auffordert … Gebt also jedem, was ihr ihm schuldig seid. Zahlt die Steuern, die man von euch verlangt, ebenso den Zoll. Unterstellt euch der staatlichen Macht und erweist denen, die Anspruch darauf haben, den notwendigen Respekt. 

Bei aller Unvollkommenheit: Es ist eines meiner Ziele, auch darin dem zu folgen, was die Bibel lehrt und Jesus Christus uns vorgelebt hat. Bei der Steuererklärung und beim Warten an der Ampel fällt es mir nicht schwer, beim Einhalten der Geschwindigkeitsbegrenzungen auf der Autobahn ist noch Wachstumspotenzial, aber ich übe mich darin weiter.

Mit Niederlagen leben

Zurzeit dreht sich fast alles um die Fußball-Weltmeisterschaft. Für mich ist Fußball wirklich eine Nebensache; für andere ist es die schönste Nebensache der Welt; andere wiederum halten Fußball für einen Kampf auf Leben und Tod. Ganz drastisch ist die Einschätzung von Umberto Eco: „Der Fußball ist einer der am weitesten verbreiteten religiösen Aberglauben unserer Zeit. Er ist heute das wirkliche Opium des Volkes.“

Obwohl ich kein besonderer Fußballfan bin, fand ich manche Szene nach dem Ausscheiden von Mannschaften wie Deutschland, Argentinien, Portugal oder Spanien aus der WM sehr rührend. Es ist interessant zu beobachten, wie sich Verlierer äußern und wie sie sich benehmen. Der britische Politiker David Lloyd George hatte etwas anderes im Sinn, aber seine Worte gelten auch im Sport: „Der Beweis von Heldentum liegt nicht im Gewinnen einer Schlacht, sondern im Ertragen einer Niederlage.“

Auch für Profispieler nicht leicht: Niederlagen verarbeiten. (Foto: taniadimas, pixabay)

Ja, Verlieren will gelernt sein. Als Kind fiel mir diese Lektion besonders schwer. Bei Spielen und Wettkämpfen fing ich sofort zu weinen an, wenn ich verlor. Es war so schlimm, dass mich mein Vater einmal ohrfeigte, weil ich so unausstehlich wurde. Ich habe es ihm nicht einmal übel nehmen können, denn mein Benehmen war wirklich sehr peinlich. (Für diese Schwäche fand ich später als Teenager eine – wie ich meine – clevere Lösung: Ich profilierte mich zu einem beliebten Gruppenspiele-Organisator und Schiedsrichter.)

Später habe ich entdeckt, dass Verlieren-Lernen das Selbstvertrauen stärkt und das Selbstwertgefühl schützt. Auch als Christ müssen wir lernen, mit Misserfolgen, Fehlern und Rückschlägen zu leben. Bei Kindern ist es wichtig, dass Eltern, Lehrer und Freunde ihnen vermitteln: Wir lieben und mögen dich unabhängig von deiner Leistung, wir stehen zu dir, wenn du Misserfolge erlebst, wir fangen dich auf, wenn du fällst.

Diese Gewissheit, unabhängig von unserer Leistung angenommen zu sein, brauchen wir auch als Erwachsene. Diese Bestätigung hole ich mir immer wieder bei Gott, der uns mit noch mehr Liebe und Empathie begegnet, als es die besten Eltern jemals könnten. Ich erlebe, wie er zu mir steht und mich auffängt, wenn ich falle. Tag für Tag! Gott hält mir meine Niederlagen niemals vor, sondern richtet meinen Blick immer wieder auf das Ziel: ewig bei ihm in einer vollkommenen, fehlerfreien Welt zu leben!

In diesem Sinne verstehe ich die Worte eines außergewöhnlichen Christen, der vom großen Verlierer (er war Christenverfolger!) zu einem fröhlichen Botschafter des befreienden Glaubens an Jesus Christus wurde: Paulus! In Philipper-Brief (3,12-14, Neues Leben Bibel) ist zu lesen:

Ich will nicht behaupten, ich hätte dies alles schon erreicht oder wäre schon vollkommen! Aber ich arbeite auf den Tag hin, an dem ich endlich alles sein werde, wozu Christus Jesus mich errettet und wofür er mich bestimmt hat. Nein, liebe Freunde, ich bin noch nicht alles, was ich sein sollte, aber ich setze meine ganze Kraft für dieses Ziel ein. Indem ich die Vergangenheit vergesse und auf das schaue, was vor mir liegt, versuche ich, das Rennen bis zum Ende durchzuhalten und den Preis zu gewinnen, für den Gott uns durch Christus Jesus bestimmt hat.